Archetypen und Symbole - Schlüssel zur Deutung

Um herauszufinden, was ein Symbol bedeutet, wird es in den allgemeingeschichtlichen Kontext gesetzt und der Versuch wird angestrebt, herauszufinden, wo in der Menschheitsgeschichte überall das Symbol mit welcher Bedeutung auftritt. Somit wird die allgemeinste mögliche Bedeutung des Symbols erschlossen. Diese Vorgehensweise nennt man in der Psychologie Amplifikation. So kann beispielsweise auch bei dem Versuch, den Traum eines Klienten zu entschlüsseln auf die Bedeutung eines Archetypen in einem Märchen oder einem Mythos eingegangen werden. Das Märchenmaterial bietet sich als hilfreiche Unterstützung zur Entschlüsselung kollektiv verankerter Einflüsse an. Um also therapeutisch mit den Archetypen und Symbolen effektiv und nutzbringend arbeiten zu können, ist geisteswissenschaftliche Kenntnis des Therapeuten – eben gerade auch vom Inhalt der Märchen und Mythen - vonnöten.

 

FAZIT: Märchen sprechen in einer einfachen symbolhaften Sprache zu uns, die jeder zu empfinden und somit zu verstehen in der Lage ist. Durch Kenntnis weiterer symboltragender Erzählformen und religiöser Hintergründe erleichtert sich das Entschlüsseln auf allgemeiner Ebene.

Märchen sprechen sowohl unser Bewußtes wie auch unser Unbewußtes auf der Symbolebene an.

Bettelheim: „Im Inhalt des Märchens nehmen psychologische Phänomene Gestalt an.“

 

Archetypische Symbolgestalten wie sie immer wieder auftauchen sind zum Beispiel „Der alte Weise“, „Mann und Frau“ (Animus und Anima – das jeweils gegengeschlechtliche Urbild; zeichensymbolisch findet das Selbst in Einheit mit Animus oder Anima zum Beispiel Ausdruck im chinesischen Yin-Yang-Symbol), „Der Zauberer“, „Die Hexe“, „Der Teufel“, „Der Schatten“.

Mir persönlich scheint bei der Betrachtung von Märchen in Zusammenhang mit psychoanalytischen Ansätzen der Jungsche geeigneter, da die Archetypen als Grundannahme in ihrer Bildlichkeit eher zu Märchen passen, als Freuds Triebhypothese, die im Märchen selbst den zugrundeliegenden ursprünglichen (phylogenetischen) Trieb sucht.

In einem Beispiel von Verena Kast möchte ich nun kurz aufzeigen, wie die Archetypen im individuellen und kollektiven Unbewußten vorhanden und zu verstehen sein können:

 

 

 

Man denke sich einen alternden König, wie er oft zu Beginn eines Märchens steht (zum strukturellen Aufbau siehe III.2.4).

 

Betrachten wir das Bild „König“ in seinem weltgeschichtlichen und religiösen Zusammenhang, so kann er als die Verkörperung des Göttlichen auf Erden gesehen werden. Seine uneingeschränkte Macht rührt, wie in vielen Kulturen angenommen, von der Sonne her, die wiederum als Symbol für Bewußtsein und Leben stehen kann.

 

Stirbt der König, so kann dies INNERPSYCHISCH in einem Märchen bedeuten, daß das übergeordnete System, das Wertkategorien schaffende Bewußtsein, ins Wanken gerät. Als Symbol im KOLLEKTIVEN Bewußtsein wiederum kann der König den Wertekanon einer ganzen Gesellschaft darstellen, der durch Krankheit oder Tod (wiederum symbolhaft zu verstehen) sich auflöst. Der zwangsläufig auftauchende Held stellt nun, wie könnte es anders sein, eine Rettung in Gestalt des Neuen dar. Die alten Werte mögen verloren gehen, doch geschieht dies nicht, ohne neue Werte ins Leben zu rufen.

 

 

 

Im Archetypus werden Grundtendenzen allgemeinmenschlichen Verhaltens erfaßt; weiterhin können archetypische Bilder die Grundlage einer Kultur bilden (Beispielsweise „Das göttliche Kind“, das seinerseits wiederum die symbolhaften Aspekte des „Göttlichen“ und des „Kindes“ -stellvertretend für den Neubeginn - beinhaltet).

 

In der Psychoanalyse wird davon ausgegangen, daß die im Traum auftauchenden Archetypen Lücken im Verhaltensinventar des neurotischen Patienten ergänzen und somit als ausgleichende Kraft wirken. Nach Jung ist dies die „Selbstregulierung“ der Seele. Verena Kast nennt die Märchen „Selbstdarstellung seelischer Prozesse“.

 

 

Theodor Seifert sieht in den Archetypen die Entsprechung zu psychischen Kraftfeldern und im Märchen eine Quelle zum Verständnis archetypischer Prozesse.