Der kleine Ritter Wohlgemut

 

 

 

 

Der kleine Ritter Wohlgemut war, ganz anders als sein Name erahnen ließ, den lieben lagen Tag ganz fürchterlich traurig. Er lebte auf einer alten Burg, in der sich neben ihm zumeist nur noch die Mäuse im Streit um seine letzten Vorräte befanden, denn  allzu viel besaß er nicht mehr. Er war aber auch viel zu müde und zu traurig – deswegen entschied er, sich auf den Weg zu machen, zur Jagd zu gehen oder anderweitig sein Glück zu suchen.

 

 

 

So packte er eines Tages den letzten Brotkanten aus der Küche, nahm den letzten Milchkrug an sich, sagte den Mäusen “Lebewohl!“, stieg auf sein Pferd und ritt, um all seine Traurigkeit hinter sich zu lassen, der Sonne entgegen, den Berg hinab und wieder hinauf, in den tiefen, grünen und so wohlig riechenden Wald hinein. An alledem konnte sich der kleine Ritter jedoch nicht freuen, denn vom Wohlgemutsein war er noch weit entfernt.

 

 

 

Auf einer Lichtung traf er ein Reh, das ihn mit seinen braunen Augan ansah, und so ließ er die Armbrust sinken und dachte an den Kanten Brot, den er den Mäusen abgerungen hatte und trank die Milch. Das Reh blieb an seiner Seite – und der kleine Ritter klagte sein Leid über all seine Traurigkeit, die Mäuse und den leeren Keller, während das sanfte Tier ihm zuhörte und ihn durch sein weiches Fell tröstete. „Nun bin ich der Sonne entgegen geritten, den Berg hinab und wieder hinauf und in den Wald hinein und habe Dich getroffen, aber mir ist noch immer ganz ungemütlich ums Herz!“. Da wurde er abermals durstig und entschied: Lass uns gemeinsam gehen, ich habe einen Plan. Wir reiten der Sonne entgegen, den Berg hinab und wieder hinauf – lass uns sehen, was wir finden, schlimmer kann’s wohl nicht mehr werden. Und vielleicht kommen wir an einem Bächlein vorbei, an dem ich mein Krüglein füllen kann.

 

 

 

So bestieg der Ritter erneut sein Pferd, ritt den Berg hinab, durch Felsen hindurch, der Sonne entgegen, begleitet von einem kleinen Reh, als er ein  Plätschern hörte, und hinter dem Plätschern, das das grüne Schilf durchfloss, ein leises Weinen.

 

 

 

Der kleine Ritter stieg von seinem Pferd, schob das Schilf auseinander und sah am Rande eines kleinen Teiches, der durch ein Felsenbächlein gespeist wurde, ein kleines Mädchen sitzen, das schrecklich weinte und sich erschrak, als es den kleinen Ritter sah.

 

Er fragte, warum sie so bitterlich weine, und das kleine Kind erzählte dem Ritter, dass seine Mutter zuhause sitze, in einer Mühle, die der Landvogt zurückforderte, und dass sie nichts zu essen und nichts zu trinken hätten, ja nicht einmal mehr ein Krügelein, um Wasser zu schöpfen.

 

Ihr Vater, der Müller, sei vor einiger Zeit gestorben – und nun wolle der Herr sein Pachtland zurück.

 

 

 

Da seufzte der kleine Ritter und dachte sich, wie es ihm doch wohl ergehe, und füllte sein Krüglein, nahm den Brotkanten und brach dem hungrigen Mädchen etwas ab, sammelte mit ihr die Beeren, die die Sonne hatte reifen lassen und hob sie auf sein Pferd, um mit ihr und dem treuen Rehkitz bergauf, bergab, entlang des Bächleins zur Mühle zu reiten.

 

 

 

Dort wartete schon voll Sorge die Mutter, glücklich, ihr Kind in die Arme schließen zu können, staunend über das zahme Reh und den freundlichen, kleinen Ritter. Der hob auch sie aufs Pferd, fand er doch sein innigstes Wohlgefallen an der jungen Witwe, reichte ihr Wasser, Brot und Beeren und lud die neuen Freunde ein, zu ihm auf seine Burg zu ziehen – wenn man schon nichts zu essen mehr habe, so könne man doch beisammen sein und gemeinsam versuchen, die Felder zu bestellen, und das Rehlein mit seiner guten Nase würde gewiss den einen oder anderen Pilz im Walde finden.

 

 

 

Und nun, da er nicht mehr allein war, sondern eine Familie hatte, wusste er, dass nichts auf der Welt ihm sein Wohlsein wieder würde nehmen können.

 

 

 

Und so ritten der kleine Ritter Wohlgemut, das Reh, das Kind und seine Mutter den Berg hinab und wieder hinauf, am Teich vorbei und durch den Wald, die Sonne sanft im Rücken.

 

Und dem kleinen Ritter Wohlgemut war es sonderbar warm ums Herz, als er daheim die Mäuse begrüßte, die sich aus der Küche machten, als er das Feuer im Kamin zu zünden begann.

 

 

 

Man sagt, dass sich ganz unten, im letzten Topf, den die Mäuse sich aufgespart hatten, der wertvolle Schmuck von Wohlgemuts Mutter befunden habe und dass die kleine Familie glücklich und froh in Wohlgemuts Burg gelebt haben soll.  So genau weiß das niemand. Es ist vermutlich auch egal, denn da sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute – und das legt nahe, dass sie keinen Hunger litten und einander lieb hatten.

(c) Alexander Ott